Workshop und Gründungstreffen des neuen AK Raumphänomenologie im VdGH 21.02.-23.02.24
Meldung vom:
Zur Gründung eines VGDH-Arbeitskreises »Raumphänomenologie«
Am Freitag, den 22. September 2023, traf sich am Rande des DKG23 eine Gruppe Interessierter, um über Perspektiven eines neuen Arbeitskreises im Verband für Geographie an deutschsprachigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen (VGDH) zu beraten. Geeint in der Überzeugung, dass phänomenologische Zugänge und ähnliche Theorieangebote wie die Philosophische Anthropologie oder die Hermeneutik, ebenso wie Dialektik und Naturphilosophie in der deutschsprachigen Humangeographie bis heute kaum eine Rolle spielen, wurde diskutiert, wie man dieser Lücke begegnen könne. Es war Konsens, dass es notwendig sei, einen neuen Diskussions-, Arbeits- und Forschungszusammenhang zu etablieren, um ähnlich gelagerte Erkenntnisinteressen zu bündeln und sichtbar zu machen. Inhaltliche und konzeptionelle Schwerpunkte, denen sich dieser Arbeitskreis widmen möchte, wurden wie folgt diskutiert:
Ein Arbeitskreis Raumphänomenologie bietet die Möglichkeit, den Abstand zwischen Physischer Geographie und Humangeographie ein Stück weit zu mindern, indem mit den genannten Theorieangeboten genau an der Schnittstelle zwischen Mensch und Natur(raum) operiert werden kann: Phänomenologie als derjenige Zugang, der Natur und Materialität ebenso in den Blick bekommen kann, wie das Soziale und seine kulturell-geistigen Prägungen. Dabei kann die Phänomenologie dazu beitragen, etwaigen Cartesianismen (nicht nur) in der Geographie zu begegnen: Dualismen wie die Trennung von Substanz und Akzidenz, Geist und Körper, oder Ich und Welt sind auf diese Weise entfundamentalisierbar bzw. dialektisch zu bearbeiten, ohne deren Unterschiede zu leugnen.
Ähnliches läßt sich von der Philosophischen Anthropologie sagen: Welt und Mensch (Bewusstsein, Leibkörper, Dasein) sind komplementär; Welt und Selbst besitzen eine Gleichursprünglichkeit, die freilich ein Werden ist, sie sind aber unzertrennlich: keine Welt ohne Selbst, kein Selbst ohne Welt. Weder Geist (Sprache) noch Materie (Natur) hat einen Vorrang – sondern es zählt die physio-psychische Realität des lebendigen Menschen, der wiederum dialektisch nicht nur eines von beiden ist, sondern als leibliches Subjekt genau seine Vermittlung als sein irdisches Dasein. Damit aber hat der Mensch auch immer einen Raum, denn ohne ihn gibt es kein Sein.
Leib heißt in der Ausdeutung einer nicht-metaphysischen, d.h. plessnerianischen Philosophischen Anthropologie, sich der konstitutiven »Exzentrischen Positionalität« des Menschen bewusst zu werden (Geist), weil man einen (wirkmächtigen) Körper hat, und sich aus dieser Erfahrungspotentialität das spezifische menschliche Bewusstsein über diese besondere Lage ableitet. Das Verhältnis des Menschen zur Welt, vom Leibkörper zur Umwelt, wird derart zum Schlüssel einer anthropologischen Geographie.
Gleichermaßen bedeutsam für Spielarten der Phänomenologie und der Philosophischen Anthropologie ist es, ausgehend von den Strukturen der Erfahrung (im Sinne eines Wahrnehmungsrealismus) ein methodisch voraussetzungsloses (d.h. vorurteilsfreies und urteilverzichtendes, ‘unpolitisiertes’) Verstehen zu forcieren. »Raum« und »Natur« sind nicht bloß physikalistisch-naturalistisch (reell) oder kulturalistisch-semiotisch (ideel), also in der ein oder anderen Form reduktiv zu fassen, sondern in ihrer perspektivischen und intentionalen Ganzheit – als noetisch-noematische Struktur – zu begreifen. Es geht hier somit darum, Cartesianismen und Dichotomien – hier Logizismus, dort Psychologismus; hier Realität, dort Idealität – jeglicher Couleur zu vermeiden und einen dritten Weg einzuschlagen: Nämlich den der systematischen und methodisch geleiteten Rückbindung des Objektiven an ein urteilendes und erkennendes Subjekt (Mayer 2007). Im Falle der sozio-materiellen Atmosphären kommt dieser Doppelcharakter besonders zum Ausdruck und wird bereits von einigen konzeptionell und empirisch bearbeitet.
Der Raum der nicht-euklidischen Geometrie ist somit als objektives Korrelat genauso legitim wie der Raum als Phänomen des Klanges, der Ruhe, der Andacht, des Exzesses, des Wohnens, des Verkehrs, der Flora usw. Es ist phänomenologisch betrachtet indifferent, ob der intendierte Raum - als intentionales Objekt - real, ideal, empirisch, materiell, fingiert, halluziniert, erinnert, absurd, symbolisch, zukünftig, vergangen, existent, mental, imaginiert usw. ist. Bedeutsam ist, dass man sich sehr verschiedenartig und perspektivisch (intentionale subjektive Akte) auf Raum (intentionales Objekt) beziehen kann – egal ob der Raum nun wirk-lich (wirkend) gegeben oder bloß vermeint ist (Zahavi, 2008). Intentionalität ist eine intrinsische Eigenschaft des menschlichen Bewusstseins. Bewusstsein ist nicht Geber, nicht Konstrukteur der Welt, nicht Fakultät des Entwerfens und Beherrschens, sondern vielmehr ein »Vermögen des Vernehmens« (L. Landgrebe) von unmittelbarer Welt und also auch des Raumes, weil es ebenso Leibbewusstsein ist.
Mit der Gründung eines Arbeitskreises, der derartige Diskussionsstränge verfolgen will, soll u.a. versucht werden, die nach wie vor einseitig dominierenden Paradigmen des Sozial- und Diskurs-Konstruktivismus herauszufordern (Lingozentrismus, Performativitätstheorien, neuerdings Posthumanismus, u.a.) und zu einem neuen Realismus in der wissenschaftlichen Beschreibung und Erklärung von Weltzusammenhängen zu gelangen. Ganz grundlegend muss dafür auch in den Blick genommen werden, was die Kategorie »Mensch« für die Humangeographie konzeptionell meint, mit welchen Theorien also das Humane – der Anthropos – konzipiert wird, um seine Stellung in der Welt, Mit- und Umwelt zu thematisieren. Hier ist basale Definitions- und Begriffsarbeit für die Humangeographie vonnöten, um theoretische sowie methodische Werkzeuge zur (empirischen) Analyse zu entwickeln.
Als ein wichtiger Schwerpunkt wurde ebenso markiert, etwa durch Metaphorologien (z.B. H. Blumenberg) oder Leibphänomenologien das Problem der Vorbegrifflichkeit in den Blick zu bekommen, dass also die Welterfahrung des Menschen in wesentlichen Dimensionen vorsprachlich vonstatten geht, statt diskursiv. Nicht nur hierfür wird es nötig sein, entsprechende konzeptionelle Zugänge und Methodologien zu entwickeln.
Ein AK Raumphänomenologie bietet auch die Möglichkeit, die Didaktik der Geographie als Vermittlung von Raumerfahrungen stärker zu positionieren. Didaktik ist gerade im phänomenologischen Verständnis alles andere als bloße Methodik. Didaktik vermittelt eine Haltung, wie man an die Gegenstände dieser Welt herangeht. Ihr kommt damit eine zentrale Rolle beim Verständnis geographischer Inhalte und Weltzugänge zu.
Nicht zuletzt wurde die Notwendigkeit einer phänomenologischen Perspektive auf die allgegenwärtige Digitalisierung mit ihren Chancen wie Risiken geographischer Welterfahrung und -beschreibung in Frankfurt thematisiert. Welchen Gehalt, welche Dimensionalität hat digitales räumliches Wissen und wie kann man dies kritisch vermitteln? Welche Verkürzungen des räumlichen Wissens drohen mit digitalen Medien, welche ermöglichen sie? Dies wären Fragen, die hier zu adressieren sind.
Um diesen aufgeworfenen konzeptionellen Herausforderungen geographischen Arbeitens zu begegnen, wollen wir einen ersten Workshop an der Universität Würzburg vom 21.2. bis 23.2.2024 durchführen, der gleichzeitig als offizieller Gründungsakt des AK Raumphänomenologie fungieren soll. Thematisch ist dieser offen gehalten, um eine möglichst große Bandbreite an Themen im obigen Sinne zu gewährleisten.
Das Programm der Tagung findet sich hier: https://www.icloud.com/pages/08aDnCEQmGjjkV58OMf6hLBJgExterner Link
Thomas Dörfler (Friedrich-Schiller-Universität Jena)
Lukas Pieroth (Universität Bayreuth)
Eberhard Rothfuß (Universität Bayreuth)