Das Erzgebirge: Mikroareal des Kalten Krieges

Die Juniorprofessur für Sozialgeographie erforscht lokale Erinnerungskulturen und den Umgang mit Verlusterfahrungen an einem ehemaligen Wismut- Standort

DDR-Postkarte aus den 1960ern, welche sie nach sozialistischem Vorbild erbaute Neustadt von Johanngeorgenstadt samt Urlaubsgästen zeigt und derselbe Platz im Jahr 2023

Foto: BEBUG Verlage / Bild und Heimat, Berlin (links); Frederike Lange, Jena (rechts)

Jena, 31.05.23 – An der Juniorprofessur für Sozialgeographie ist ein von der Gerda Henkel Stiftung im Rahmen des Förderschwerpunkts „Lost Cities“ gefördertes Forschungsprojekt zu „Johanngeorgenstadt als verschwindende Stadt. Eine historische und geographische Mikrologie des Verlustes“ gestartet. Das Projekt, das von Jun.-Prof. Dr. Simon Runkel (Jena) und PD Dr. Manuel Schramm (TU Chemnitz) geleitet wird, setzt sich interdisziplinär mit Erinnerungskulturen und Verlustbearbeitung in Johanngeorgenstadt, einem ehemaligen Standtort der Wismut AG, auseinander.

Johanngeorgenstadt war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Zentrum des sowjetischen Uranbergbaus. Unter der Maxime „Erz für den Frieden“ wurde in den lokalen Förderstätten umfangreich Uranerz gefördert, das der Herstellung sowjetischer Atomwaffen diente. Somit spielte die erzgebirgische Kleinstadt für kurze Zeit eine bedeutende Rolle im geopolitischen Kontext des Kalten Krieges. Ein Umstand der für die Bewohner:innen bis heute folgenreich bleibt: im Zuge des Bergbaus wurde die Stadt ab den 1950er Jahren fast komplett abgerissen und als sozialistische Planstadt an anderer Stelle baulich ergänzt. Die lokalwirtschaftliche Krise durch den Rückgang des Bergbaus in der Region verstärkte nach der Vereinigung mit der BRD den demographischen Niedergang. Zudem sahen sich die ehemaligen Bergleute nach dem Mauerfall häufig mit einer Entwertung ihrer Arbeitsbiographien und Lebensleistungen konfrontiert.

Das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt „Johanngeorgenstadt als verschwindende Stadt“ widmet sich der Frage wie die Bewohner:innen mit dem Verlust der städtischen Bausubstanz insbesondere der Altstadt umgegangen sind und wie jene Entwertungserfahrungen ihre alltägliche Erfahrungen und Praktikanten prägten. Das interdisziplinäre Projekt verbindet historische mit sozialgeographischen Perspektivierungen des lokalen und regionalen Wandels untersucht. Es werden historische Texte und Artefakte mit gegenwärtigen Topographien und lebensweltlichen Erfahrungen der Bewohner:innen kombiniert, um die Komplexität der räumlichen Transformationen und gemeinsam geteilte Erfahrungen, Emotionen und Atmosphären des Verlusts zu erfassen. Im Rahmen des Projektes ist eine Zukunftswerkstatt geplant, bei der neue Perspektiven für Johanngeorgenstadt gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung diskutiert werden sollen.

Die Ergebnisse des Projektes sollen nicht nur zu einem vertieften Verständnis der Geschichte und Erinnerungskultur in Johanngeorgenstadt beitragen, sondern darüber hinaus auch neue Perspektiven auf den Umgang mit räumlichen Verlusten und Transformationen im Allgemeinen liefern. Diese Erkenntnisse könnten dazu beitragen mögliche Handlungsansätze für eine nachhaltige und integrative Stadtentwicklung aufzuzeigen.

„Das Projekt ‚Johanngeorgenstadt als verschwindende Stadt‘ ermöglicht uns einen faszinierenden Einblick in die komplexe Geschichte der Stadt und die Auswirkungen der räumlichen Veränderungen auf den Zusammenhalt in der Region. Unsere interdisziplinäre Herangehensweise bietet eine einzigartige Perspektive auf den erinnerungskulturellen Umgang mit Geographien des Verlusts“, sagt Prof. Runkel. „Durch die kreative Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Bürger:innen“, so ergänzte die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Geographin Frederike Lang, Bürger:innen“, so ergänzt die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Geographin Frederike Lange, „hoffen wir eine breite Diskussion über Resilienz in Zeiten des Wandels anzustoßen“. Die Bewältigungsstrategien zum Verlust materieller Erinnerungsorte, welche die Bewohner:innen von Johanngeorgenstadt entwickelt haben sollen Impulse setzen, die über die spezifische Situation der Stadt hinausgehen und mit empirischer Sättigung Impulse für die Gestaltung von regionaler Entwicklung uns strukturellem Wandel ermöglichen.