Vor dem Hintergrund demographischen, regionalen und sozialen Wandels fragen wir in diesem Forschungsschwerpunkt danach, welche sozialen Geographien und räumliche Formen des menschlichen Zusammenlebens sich in spätmodernen Gesellschaften ergeben und wie sie sich intersektional verschränken. Besonderes Interesse unserer raumbezogenen Forschung in diesem Schwerpunkt gilt der gesellschaftstheoretischen und empirischen Auseinandersetzung mit sozialen Geographien des Lebensverlaufs und der Geobiographien, die in Bezug auf Affekte, Emotionen, Erfahrungen, Identitäten und Subjektivierungen untersucht werden.
Mitarbeitende:
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Kritische Sozialgeographie: Johanngeorgenstadt als verschwindende Stadt – eine historische und geographische Mikrologie des Verlusts
Zwischen 1950 und 1970 verschwanden in Sachsen und Thüringen mehrere Orte von der Landkarte. Sie mussten dem Uranbergbau der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut weichen. Besonders betroffen war die sächsische Kleinstadt Johanngeorgenstadt. Das Forschungsprojekt befasst sich mit der Erarbeitung einer historisch-geographischen Mikrologie des Verlusts am Beispiel von Johanngeorgenstadt. Das Ziel des sozialgeographischen Teilprojektes ist es, anhand von Biographien und lebensweltlichen Erfahrungen die gegenwärtigen Geographien des Verlusts in Johanngeorgenstadt zu untersuchen. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Mikrogeographien des Verlusts paradoxerweise als negative Verräumlichungen in der Erfahrung der materialen Umgebungen der Stadt weiterbestehen. Die praxeologischen Dimensionen des Verlusts („doing loss“) werden als konkrete Praktiken der Verlustbearbeitung (Erinnern, Trauern, Rekonstruieren, Verdrängen) in individuellen Biographien und kollektiven Atmosphären aufgespürt.
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Gesellschaftstheorie und Geographie: theoretische Denkarbeiten zum Verhältnis von Gesellschaft, Gemeinschaft und Raum
Fortwährend wird vor dem Hintergrund der empirischen Arbeiten in der Arbeitsgruppe theoretisch-konzeptionell an der Entwicklung einer gesellschaftstheoretischen und politischen Sozialgeographie gearbeitet. Im Fokus steht dabei das Verhältnis von Gesellschaft, Vergemeinschaftungsprozessen und Raum entlang des Lebensverlaufs von Menschen in spätmodernen Gesellschaften. Theoretische Beiträge zur Grundlegung einer solchen politischen Sozialgeographie werden auf Basis von verschiedenen sozialphilosophischen und sozialtheoretischen Angeboten erarbeitet. Im Besonderen sind hierbei affekt-, differenz- und praxistheoretische Ansätze im Vordergrund.
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Angewandte Sozialgeographie: Besuchermonitoring im Nationalpark Hainich
Das Projekt hatte zum Ziel, das bereits bestehende Besuchermonitoring der Nationalparkverwaltung Hainich zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Der Schwerpunkt lag dabei auf der quantitativen, anonymisierten Erfassung von Besucher:innen sowie erste integrierte Modellierung der Verteilung von Besucher:innen auf dem Gebiet des Nationalparks. Hierzu wurde vorhandene Zähltechnik ausgewählt, eingekauft und implementiert, die bisherigen Workflows integriert, grundlegende Modellierungen von Besuchszahlen entwickelt und eine sozialwissenschaftliche Begleitforschung durchgeführt.
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Kritische Sozialgeographie: Der Diskurs um die postmigrantische Gesellschaft – Erkenntnisse und Perspektiven für stadträumliche Integrationspolitiken
Das Projekt befasste sich mit dem Diskurs zur postmigrantischen Gesellschaft und stellte die Frage, inwieweit Ideen und Positionen postmigrantischer Debatten als Impuls und Perspektivverschiebung für die kommunale integrationspolitische Praxis dienen können. Die erarbeiteten Inhalte, Positionen und Ideen entstanden unter der Berücksichtigung der Stimmen von Akteuren aus Wissenschaft und Praxis der kommunalen Integrationspolitik. Auf Grundlage einer systematischen Auswertung der Literatur, die mit dem Label „postmigrantisch“ arbeitet, fanden von Januar bis März 2019 zwölf Gespräche mit migrations- und integrationspolitischen Expert:innen aus den Bereichen städtische Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft statt. Im März 2019 kam dann ein Großteil dieser Expert:innen zu einem inter- und transdisziplinären Workshop zusammen, um gegenwärtige lokale Praktiken der Integrationspolitik und -arbeit aus postmigrantischem Blickwinkel zu beleuchten.
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Sozialphänomenologische Geographie: Beziehungsweisen. Neuaushandlungen sozialer und sozialräumlicher Distanz- und Näheverhältnisse in ihren Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt während und nach der Corona-Krise
Die sich im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2/COVID-19-Pandemie hierzulande vollziehende Neuaushandlung von sozialen und sozialräumlichen Distanz- und Näheverhältnissen ist aus sozialwissenschaftlicher Perspektive von großem Interesse. So ist zu erwarten, dass die „Corona-Krise“ und die durch die Maßnahmen des „social distancing“ bzw. „physical distancing“ verursachten Veränderungen zu nachhaltigen Veränderungen der sozialen Beziehungsweisen von Menschen führen werden. Dabei ist davon auszugehen, dass Aushandlungsprozesse von sozialräumlichen Distanz- und Näheverhältnissen in unterschiedlichen sozialen Gruppen und Milieus zu je anderen Betroffenheiten und zu einer Herausforderung für die soziale Kohäsion der Gesellschaft insgesamt führen. Die verschiedenen individuellen, haushaltsbezogenen, familialen oder gruppenbezogenen Verinselungen gehen mit neuen Formen sozialer (Des)Integration einher, die sich insbesondere im affiliativen (bindungsbezogenen) Austausch zwischen Individuen, Gruppen und Milieus niederschlagen.
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Sozialphänomenologische Geographie: Altenzentren im Wandel? Sozialräumliche Nähe- und Distanzverhältnisse alter und hochaltriger Menschen im Kontext der Pandemie
In öffentlichen und medialen Diskursen, während der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen gesellschaftspolitisch durchgesetzten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus wurde anhand der Kategorie „Alter“ eine Unterscheidung von Risikogruppen vorgenommen. Diese Unterscheidung verstärkte bestehende gesellschaftliche Verhältnisse dadurch, dass bereits bestehende Kategorisierungen und räumliche Separierung nach Altersgruppen verfestigt wurden. Ganz besonders deutlich wird dies in Alterspflegeeinrichtungen, wo Einschränkung und Isolation die Bewohnerinnen und Bewohner noch unsichtbarer macht. Aus diesem Grund beabsichtigte die Untersuchung, Menschen in Alterspflegeeinrichtungen dahingehend zu befragen, wie die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 sowie die entsprechenden öffentlichen Diskurse darüber, die raum- und ortsbezogene Situation von alten Menschen in Pflegeeinrichtungen mit besonderer Berücksichtigung der sozialen Nähe- und Distanzverhältnisse wahrgenommen und erfahren werden.